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Thema: Motorsport


Pat Symonds erklärt Überholproblem auf Hungaroring

Pat SymondsDer Hungaroring ist berüchtigt dafür, dass er so gut wie keine Überholmöglichkeiten bietet – doch woran liegt das? Entwicklungschef Pat Symonds erklärt den Zusammenhang von Aerodynamik, Streckenlayout und Setup.

Ungarn gilt neben Monaco als der Kurs mit den geringsten Überholmöglichkeiten. Und in der Tat haben wir dort in den vergangenen Jahren kaum ein gelungenes Manöver gesehen. Warum aber ist Überholen auf jedem Kurs so schwierig und in Budapest fast unmöglich? Eine weit verbreitete These besagt, dass es an der extremen Aerodynamik moderner Formel 1-Autos liegt, die ja einen Großteil der Performance ausmacht. Die Fans glauben, dass das Überholen erst wieder leichter wird, wenn dieser Bereich extrem beschnitten wird. Wir wollen einmal analysieren, warum die Aerodynamik das Überholen erschwert …

Einfach ausgedrückt erhöht der aerodynamische Abtrieb die Last auf den Reifen und verleiht ihnen mehr Grip. Dabei produzieren die Flügel in einem bestimmten Bereich hinter dem Auto Turbulenzen, die wir "Wake" nennen, also Heckwelle oder Kielwasser. Es handelt sich um einen Kanal verwirbelter Luft, die sich nicht in der erwarteten Richtung bewegt. Wenn die Autos auf nasser Fahrbahn Gischt hinter sich her ziehen, lässt sich dies gut beobachten. Dieser riesige Schweif gibt einen Eindruck vom Ausmaß der Heckwelle, doch da Wasser schwerer ist als Luft, ist die "Wake" in Wirklichkeit noch viel größer. Ihre Länge ist annähernd proportional dem Quadrat der Geschwindigkeit, ihre gesamte Ausdehnung ist proportional zum Luftwiderstand des Autos. Auf Kursen wie dem Hungaroring, wo wir mit hohem Abtrieb fahren, liegt naturgemäß auch der Luftwiderstand höher, denn er macht jeweils rund ein Drittel der Downforce aus. In der Folge treffen wir hier auch auf größere "Wakes". Auf der anderen Seite enthält jede Heckwelle auch einen kleinen Bereich, in dem Unterdruck herrscht. Wenn ein Verfolger nah genug an seinem Vordermann ist, erhält er Windschatten und eine höhere Endgeschwindigkeit.

Bei den Geschwindigkeiten in Ungarn – etwas über 300 km/h auf der Zielgeraden – ist die Heckwelle etwa 150 Meter lang, was 20 Prozent der Gerade entspricht. Die "Wake" des vorherfahrenden Autos hat zwei fundamentale Effekte auf das folgende: Erstens reduziert sie den Luftwiderstand und erleichtert das Überholen – je näher das folgende Auto dem führenden rückt, umso größer ist dieser Vorteil und der Geschwindigkeitsüberschuss. Liegt der Verfolger aber weiter zurück in der Heckwelle, büßt er wesentlich Abtrieb ein – nicht nur in der Summe, sondern auch bezüglich der Balance an der Wagenfront.

Wenn zum Beispiel zwei Autos mit rund 200 km/h hintereinander fahren und das zweite zehn Wagenlängen zurück liegt, sinkt der Abtrieb um 20 Prozent und die Balance verschiebt sich um vier Prozent zum Heck. Allein dies erschwert schon das Hinterherfahren, nicht nur wegen des fehlenden Grips, sondern auch, weil das Auto unweigerlich ein Untersteuern entwickelt. Je näher ein Fahrer seinem Vordermann kommt, umso schlimmer werden diese Effekte. Ein Abstand von drei Wagenlängen kostet ein Drittel des Abtriebs, während sich die Balance um 15 Prozent nach hinten verschiebt. Aus diesem Grund ist es nahezu unmöglich, einem Auto durch eine einigermaßen schnelle Kurve nah genug zu folgen, um am Ende der folgenden Geraden einen erfolgsversprechenden Angriff zu starten.

Wird die Aerodynamik beschnitten, reduzieren sich natürlich auch diese "Wake"-Effekte. Auftreten werden sie aber immer: Jeder Körper, der sich durch Luft bewegt, generiert eine Heckwelle, egal, wie windschlüpfrig er ist. Selbst Tourenwagen erfahren dieses Phänomen.

Es gibt noch weitere Faktoren, die direkt oder indirekt die Wahrscheinlichkeit von Überholmanövern beeinflussen. Einige davon widersprechen sich unmittelbar. Wenn wir zum Beispiel den mechanischen Grip erhöhen – etwa durch breitere Reifen – würden die Teams den Abtrieb zugunsten des Gesamtpakets reduzieren. Die Kurvengeschwindigkeiten blieben unverändert, aber auf den Geraden hätten wir wegen des geringeren Luftwiderstandes höhere Geschwindigkeiten. Durch die reduzierte "Wake" vereinfacht sich das Überholen. Umgekehrt ließe sich sagen, wenn wir den Grip in langsamen Kurven verringern – etwa durch anderen Asphalt – und den Grip in schnelleren Kurven aufrecht erhalten, indem wir sie überhöhen, könnten die Piloten diese schnelleren Passagen mit Vollgas nehmen. Der Effekt wäre derselbe wie bei einer ultralangen Geraden. Dieser Vorschlag bedeutet natürlich radikale Veränderungen an den Strecken, hohe Investitionen der Betreiber und großen Forschungsbedarf. Aber das Streckendesign besitzt zweifellos großen Einfluss auf die Überholmöglichkeiten. Schon bei den Formel 1-Autos in ihrer heutigen Konfiguration sehen wir, dass die Abfolge einer langsamen Kurve, gefolgt von einer langen Geraden und einer weiteren langsamen Kurve zum Überholen einlädt.

Doch auch Kurse, die nach dieser Philosophie gebaut sind, garantieren nicht unbedingt aufregende Rennen. Das neue Layout von Hockenheim zum Beispiel folgt dieser Idee. Während wir dort vor drei Wochen einen äußerst attraktiven Grand Prix gesehen haben, muss man festhalten, dass sich 2003 nur drei echte Überholmanöver ereigneten und 2002 die einzige derartige Aktion das Resultat einer falschen Reifenentscheidung war. Rubens Barrichello zum Beispiel steckte in diesem Rennen 47 Runden oder zwei Stints lang hinter einem Gegner fest. Auch diese Zauberformel für Rennstrecken-Design schließt langweilige Rennen nicht aus. Nehmen wir dagegen den Britischen Grand Prix 2003: Dort gab es ein fantastisches Rennen und zahllose Überholmanöver – und das auf einem Kurs, der ganz anders gebaut ist als die angesprochenen neuen Strecken. Die 2004er-Ausgabe wiederum stellte sich als Rennen ohne große Höhepunkte heraus. Das Layout ist wichtig, aber das eine effektive Geheimrezept existiert einfach nicht.

Diese Überlegungen führen zu einer anderen, nahe liegenden Folgerung. Wenn die Autos am Start in der Reihenfolge ihrer Leistungsfähigkeit aufgestellt sind und gleichzeitig losfahren – warum sollte es dann überhaupt Überholmanöver geben? Die schnellsten Autos ziehen davon und fahren wie alle anderen ihre Geschwindigkeit. Wenn wir mehr Zweikämpfe sehen wollen, müssen wir erreichen, dass die Autos in verschiedenen Stadien des Rennens unterschiedlich schnell fahren. Das passiert heute manchmal, wenn Piloten verschiedene Reifentypen wählen, die sich über einen Stint unterschiedlich verhalten. In anderen Rennformeln gibt es die Lösung, dass bei Turbomotoren für einen begrenzten Zeitraum der Ladedruck erhöht werden darf. Grundsätzlich bin ich der Ansicht, dass dieses Konzept der variablen und zeitversetzten Leistungsfähigkeit die zentrale Lösung für das Überholproblem darstellt.


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