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Thema: Historie


Mercedes-Benz "Strich-Acht" (Baureihen W 115/114)

Mercedes-Benz 230 Baureihe 114 von 1968Sportlich, elegant, modern und vor allem eigenständig: Die neuen Mercedes-Benz Typen der mittleren Baureihen W 115 und W 114 begeistern Fachleute und Öffentlichkeit, als sie im Januar 1968 erstmals in den Medien vorgestellt werden. Die nach ihrem Geburtsjahr unternehmensintern mit dem Kürzel /8 versehene Fahrzeugfamilie wird bald liebevoll "Strich-Acht" gerufen. Mercedes-Benz verabschiedet sich mit diesem Fahrzeug vom bisherigen Konzept der baureihenübergreifenden Einheitskarosserie, das seit der Nachkriegszeit insbesondere für die Stilrichtungen Ponton und Heckflosse gegolten hat. Zu den technischen Höhepunkten des neuen Modells zählen unter anderem die Diagonal-Pendelachse und im Typ 240 D 3.0 der Fünfzylinder-Dieselmotor.

Die Stuttgarter stellen nach der neuen Oberklasse von 1965 (Baureihen W 108 und W 109) nun erstmals einen formal und technisch eigenständigen Entwurf für Automobile der oberen Mittelklasse vor. Das Ideal der klaren Linienführung des S-Klasse Vorgängers W 108/109 ist bei den Strich-Acht-Typen noch konsequenter umgesetzt. Die Limousine zeugt von Solidität und der Liebe zur technischen Innovation, sie spiegelt das Bewusstsein ihrer Entwickler um die neu definierte Rolle einer mittleren Baureihe wider.

Schon zur ersten Pressevorstellung im Januar 1968 in Sindelfingen fällt das Medienecho hervorragend aus. Das ebenso erfolgreiche offizielle Debüt folgt im März auf dem Automobilsalon in Genf. Zunächst umfasst die Modellpalette sechs Limousinen: Die Vierzylindertypen 200, 220, 200 D und 220 D bilden die Baureihe W 115, die beiden 6-Zylindervarianten 230 und 250 erhalten die Baureihenbezeichnung W 114. Als Spitzenmodell unterscheidet sich der Mercedes-Benz 250 von den anderen Typen durch seine Doppelstoßstange vorn.

2 Millionen Exemplare

Vom viel gelobten Debütanten ist es nur ein kleiner Schritt zum Verkaufsschlager. Die Nachfrage ist von Beginn an groß und sorgt bald für lange Lieferzeiten. Insgesamt werden fast 2 Millionen Exemplare der Strich-Acht-Baureihen von 1968 bis 1976 gebaut. Das sind nahezu ebenso viele Fahrzeuge, wie von allen Personenwagen-Baureihen der Marke Mercedes-Benz zusammen seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs bis 1968 produziert worden sind. Der Strich-Acht hat sich als vielseitig eingesetztes Erfolgsmodell etabliert, das anspruchsvolle Fahrer begeistert.

Einen wichtigen Beitrag zu dieser Entwicklung leistet sicher die breite Modellpalette: Die Motorisierung der Strich-Acht-Familie reicht am Ende der Bauzeit von den Einstiegstypen bis zu den Spitzenversionen 280 E (1972) und 240 D 3.0 (1974). Außerdem gibt es neben der klassischen Limousine auch eine Limousine mit langem Radstand und – erstmals bei Mercedes-Benz in diesem Marktsegment – ein Coupé des Strich-Acht. Ein Kombinationskraftwagen ist zusätzlich geplant und wird bis fast zur Serienreife entwickelt. Gebaut wird diese Karosserievariante aber schließlich erst in der Nachfolgebaureihe 123. Stattdessen bieten verschiedene unabhängige Karosseriebauer entsprechende Umbauten an.

Mit dem Strich-Acht geht 1968 von Stuttgart eine konstruktive Revolution aus, die das Fundament legt und Maßstäbe setzt für die späteren Generationen der mittleren Baureihe von Mercedes-Benz, der heutigen E-Klasse. Über die neunjährige Bauzeit hinaus ist der Strich-Acht zu einer Ikone der Automobilkultur der 1960er und 1970er Jahre geworden. Mittlerweile sind die Fahrzeuge der Baureihen 115 und 114 längst hoch geschätzte Klassiker und zählen zum Oldtimerbestand.

1947: Die Vorgeschichte der mittleren Baureihe beginnt mit dem 170 V

Der 1968 vorgestellte Strich-Acht ist nach Jahren der Einheitskarosserie die erste Limousine der oberen Mittelklasse mit eigenständiger Form und Technik, das die Stuttgarter Marke baut. Allerdings gründet diese neue Entwicklung auf einer langen Tradition von Automobilen der Marke in diesem Marktsegment. Schon in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts lanciert Mercedes-Benz Fahrzeuge, die sich an die gehobene Mittelschicht wenden. Als ein Beispiel gilt der auf Basis des Mercedes-Benz 3/38 PS entwickelte Typ Stuttgart 200 aus dem Jahr 1928: "Den ersten preisgünstigen Stern-Wagen der Mittelklasse" nennen die Fachautoren Michael Rohde und Jens-Peter Sirup diesen von Ferdinand Porsche entwickeltn Typ. Heribert Hofner sieht dagegen in seiner Monographie zum Strich-Acht eher den Mercedes-Benz 170 (W 15) von 1931 als direkten Ahn der mittleren Baureihe: Die Kennzeichen des Wagens seien modernste Technik, ein für diese Automobilklasse ungewöhnlicher Sechszylindermotor und das elegante Auftreten.

Eindeutig zuordnen lässt sich die Familiengeschichte der späteren E-Klasse vor allem seit der Nachkriegszeit: Der Mercedes-Benz 170 V des Jahres 1947 (Baureihe W 136) markiert den Neubeginn der Personenwagenproduktion bei Mercedes-Benz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. In den folgenden Monaten und Jahren wurden im Rahmen der Baureihen 136 und 191 weitere Typen auf den Markt gebracht, die ebenfalls unterhalb der Oberklasse positioniert waren. Konstruktiv basierten diese Typen jedoch noch auf Entwicklungen aus der Vorkriegszeit. Mit selbsttragender Karosserie und zeitgenössischer "Three Box"-Karosserie (Vorbau – Fahrgastzelle – Kofferraum) setzen die als "Ponton-Mercedes" bekannt gewordenen Typen 180 und 190 der Baureihen W 120 und W 121 im Jahre 1953 eine historische Marke in der Personenwagengeschichte von Mercedes-Benz.

Zusammen mit dem hochmodernen Konzept führen die Stuttgarter auch eine gemeinsame Karosserie für diese Typen der oberen Mittelklasse und die Oberklasse-Fahrzeuge der Baureihen 180 und 128 ein. Die großen Ponton-Limousinen mit Reihensechszylindermotor unterscheiden sich von den 4-Zylinder-Baureihen W 120 und W 121 durch einen längeren Radstand und einen größeren Motorraumvorbau, was ihnen eine großzügigere Silhouette verleiht.

Ähnlich fallen auch die Unterschiede zwischen den Vierzylinder- und Sechszylinderversionen der 1961 vorgestellten Heckflossen-Baureihe aus: Gegenüber den Oberklasse-Limousinen haben die Typen 190 und 190 D (später 200, 200 D und 230) der Baureihe W 110 eine kürzere Motorhaube und außerdem runde statt hochkant stehende, rechteckige Scheinwerfer. Erstmals bietet Mercedes-Benz von der Heckflosse auch serienmäßige Kombiversionen an, die unter der Bezeichnung "Universal" in Belgien bei IMA gebaut werden.

1961: Beginn der Entwicklung des Mercedes-Benz der Neuen Generation

Unter der Leitung von Dr.-Ing. Fritz Nallinger – Mercedes-Benz Chefingenieur, Vorstandsmitglied und Technischer Direktor der Daimler-Benz AG – beginnt 1961 die Arbeit an der neuen oberen Mittelklasse. Die technische Struktur des kommenden Fahrzeugs bestimmt Karl Wilfert, Leiter der Karosserieentwicklung. Für das Design zeichnet Paul Bracq verantwortlich, unterstützt von Bruno Sacco. Diese neue mittlere Klasse soll ein eigenständiges Erfolgsmodell werden, das ist von Anfang der Entwicklung an klar. Die Einheitskarosserie ist daher keine Option mehr. Als Konsequenz aus dieser Erkenntnis stellt Mercedes-Benz bereits 1965 den W 108 vor, ein vollkommen eigenständiges Oberklassefahrzeug. 1968 wollen die Stuttgarter ein Pendant dazu für die obere Mittelklasse auf den Markt bringen, den Mercedes-Benz einer neuen Generation.

Chefingenieur Nallinger hat schon 1960 wichtige Eckpunkte für das kommende Fahrzeug festgelegt: Die Konstruktion soll im direkten Vergleich zu dem Oberklasse-Typ deutlich kompakter ausfallen als es bisher der Unterschied zwischen Vierzylinder- und Sechszylindervarianten der Einheitskarosserie erlaubte. Entsprechend wichtig ist bei kleineren Außenmaßen die gute Raumökonomie der Fahrgastzelle. Und die Form soll einem Ideal der schlichten Eleganz entsprechen, statt modischen Trends zu folgen.

1964 zeigen die Modelle bereits die Formen der späteren Limousine. Zu dieser Zeit wird aber noch eine unterschiedliche Gestaltung der Fahrzeugfront diskutiert. Angelehnt an die ehemalige Unterscheidung zwischen Vier- und Sechszylindervarianten sollen die schwächer motorisierten Versionen der neuen Typenfamilie eine schlichtere Front mit quer angeordneten, rechteckigen Scheinwerfern bekommen. Anfang 1965 fällt schließlich eine Entscheidung gegen diese Ausdifferenzierung, von der später noch die beiden Baureihennummern 115 und 114 zeugen. In diesem Jahr übernimmt Professor Dr. Hans Scherenberg die Projektleitung, da Nallinger in den Ruhestand tritt.

Neben der Limousine werden als weitere Karosserievarianten ein Coupé, eine Limousine mit langem Radstand und ein Kombinationskraftwagen entwickelt. Während der sportlichere Zweitürer und die Langversion der Limousine tatsächlich in Produktion gehen, bleibt dem Kombi schließlich doch die Serienfertigung verwehrt. Allerdings lässt sich das Grunddesign des Hecks später mit nur geringen Veränderungen sehr harmonisch auf die nächste Baureihe W 123 übertragen.

Während bei den ausführlichen Erprobungsfahrten die Tarnung der Prototypen immer mehr zurückgenommen wird, beginnt 1967 die Einrichtung der Produktionsanlagen im Werk Sindelfingen. Insgesamt 1100 Vorserienfahrzeuge der vorläufig auf sechs Typen beschränkten Baureihen entstehen vor dem Marktstart.

1968: Premiere in Sindelfingen und Genf

Mercedes-Benz präsentiert den Strich-Acht 1968. Journalisten wird die neue Baureihe im Januar in Sindelfingen gezeigt; die breite Öffentlichkeit hat erstmals im März auf dem Internationalen Automobilsalon in Genf die Gelegenheit, die neue Limousine zu begutachten. Die sechs zunächst lieferbaren Typen stoßen auf breite Zustimmung bei Fachleuten und Publikum.

Das Lob der klaren, klassisch-modernen Linienführung und des frischen, sportlichen Auftritts verdient der Strich-Acht dafür umso mehr. Der automobile Identität stiftende "Mercedes-Touch" sei dabei voll und ganz erhalten geblieben, betont Heribert Hofner in seiner 2004 erschienenen Baureihen-Biografie. Und tatsächlich haben Designer und Ingenieure eine Aufgabe gut bewältigt, die Mut zur Innovation und Feingefühl verlangt: Einerseits wird nun eindeutiger zwischen Oberklasse und oberer Mittelklasse im Mercedes-Benz Programm differenziert als bisher. Andererseits zeigt sich weiter die familiäre Nähe zwischen den nun unabhängig voneinander auftretenden Typen sowie ihre Herkunft aus der Heckflossen-Generation.


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